Der Top Ten Thursday vom 02.02.2023 (Bücher, deren Titel mit J beginnt) hat mich an dieses Buch erinnert. Ich habe es nun gelesen und stelle es hier vor.
Martin heißt der Junge mit dem schwarzen Hahn. Er lebt unter widrigen Umständen in einer mittelalterlichen Gesellschaft. Das wird sofort klar, wenn man das Buch zu lesen beginnt.
Trotzdem ist es kein durchgehend düsteres Buch. Es ist auch kein typischer historischer Mittelalter-Roman, sondern vielmehr ein Roman über die menschliche Gesellschaft im Allgemeinen und deren teilweise absurde Ansichten und Handlungen. Oftmals zum Kopfschütteln, manchmal zum Schmunzeln.
Martin hält ihnen allen den Spiegel vor, ohne sich selbst dessen bewusst zu sein. Mit einer Selbstverständlichkeit ist er jedem gegenüber freundlich und hilfsbereit und hat einen äußerst wachen Verstand.
Der schwarze Hahn ist seit Martins frühester Kindheit sein Begleiter. So etwas ist sehr unwahrscheinlich, wenn man die Lebenserwartung eines Hahns betrachtet. Außerdem kann er sprechen. Ich sehe deshalb in dem Hahn ein Symbol, vor allem für eigenständiges und vorurteilsfreies Denken, das sich der Protagonist von niemandem nehmen lässt.
Im Klappentext heißt es, dass Martin zum Retter wird für jene, die noch unschuldiger sind als er. Das trifft es meiner Meinung nach auf den Punkt. Es ist sehr unterhaltsam, die Entwicklung dahin zu verfolgen.
Der Roman ist eine gelungene Umsetzung des Heldenreise-Konzeptes, spannend von Anfang bis Ende.
Die Figuren sind hervorragend geschildert, vor allem durch Handlungen und Dialoge. So entstehen sofort lebendige Bilder. Fast alle Figuren, mit denen Martin es zu tun bekommt, haben irgendetwas Besonderes an sich.
Den Schreibstil der Autorin habe ich als außergewöhnlich und trotzdem angenehm empfunden. Die Geschichte ist aus der Perspektive eines feinsinnigen Beobachters erzählt. Neben der eigentlichen Handlung mit viel Action gibt es nachdenkliche Abschnitte mit zum Teil skurrilen Parallelen.
Ein Beispiel, das mir besonders gefallen hat:
Der Maler schmunzelt und zeichnet Martins feierliche Gesichtszüge mit wenigen Strichen auf ein altes Stück Leinwand und wird dieses Stück noch lange bei sich tragen. Auch dann noch, als er längst nicht mehr mit Martin zieht. Auch dann schaut er sich das Stück an und denkt, dass es seine beste Zeichnung ist und nie wieder ein Kind so rein und unversehrt vom Menschsein vor ihm gestanden hat.
Und er trägt es in den Taschen seiner löchrigen Hosen, bis ihn die Pest dahinrafft und er zusammen mit anderen zerfällt.
Auch das Stück Stoff zerfällt. Ein paar Maden saugen die Fäden auf und verwandeln sich anschließend in eine Schmetterlingsart, die niemand jemals zuvor gesehen hat und die es danach nie wieder geben wird. Und während in der Gemäldegalerie einmal ein Bild des Malers ausgestellt sein wird, ein Bild, das den Jungen mit seinem Hahn zeigt, befindet sich nur wenige Meter weiter im historischen Museum an einer Schmetterlingswand aufgespießt neben ebenso toten Artgenossen ein eben solcher Schmetterling, der Kunst gekostet hat, von Kunst genährt wurde und der von dem Jungen weiß.
Zu netten Kleinigkeiten, die mir noch aufgefallen sind, gehört die Sache mit dem Kirchenschlüssel.
Der ist ziemlich am Anfang weg. Kurz darauf wird erwähnt, dass Martin einfällt, wo der Schlüssel ist. Aber er sagt es nicht und auch den Lesern wird es nicht verraten.
Zwischendurch habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, weil mich der Fortgang der Geschichte sehr gefesselt hat. Aber zu meiner großen Freude wurde das Rätsel um den Schlüssel zum Ende hin noch aufgelöst.
Fazit
Dieses Buch ist etwas Besonderes: Es folgt dem bewährten Heldenreise-Muster und hat dabei einiges an zusätzlicher Symbolik aufzubieten. Die kann jeder beim Lesen für sich interpretieren, muss es aber nicht.
Der Roman eignet sich sowohl als Lektüre zum Entspannen als auch zum Nachdenken und wiederholten Lesen. Ich werde dieses Buch bestimmt in ein bis zwei Jahren noch einmal zur Hand nehmen.
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternen
Details
Autor: | Stefanie vor Schulte |
Titel: | Junge mit schwarzem Hahn |
Genre: | Roman |
Verlag: | Diogenes |
Erscheinungsjahr: | 2021 |
Seitenanzahl: | 224 |
ISBN: | 9783257071665 |
Das Buchcover im Titelbild gehört dem Diogenes-Verlag.
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Hi!
Das Buch fand ich sooo großartig! Der Schreibstil ist total eigen und an den musste ich mich erst gewöhnen, aber das ging sehr schnell. Mich hat es jedenfalls auch sehr begeistert! 🙂
Liebste Grüße, Aleshanee
Ja, das geht mir auch so. Das ist eins der seltenen Bücher, die ich irgendwann noch einmal lesen möchte.