Wir sind schließlich wer | Anne Gesthuysen

Warmherzig und witzig.

Anna, die Hauptfigur dieses Romans, ist eine etwas andere Pastorin. Sie glaubt nicht an Gott. Trotzdem macht sie ihren Job prima, denn sie ist eine ausgezeichnete Seelsorgerin. Sie ist mit Mitte dreißig noch ziemlich jung und stammt aus einer adligen Familie.

Die Leute in dem niederrheinischen Dorf, wo sie als Vertretungspastorin fungiert, sind zunächst etwas reserviert ihr gegenüber. Sie tritt gleich am Anfang in ein Fettnäpfchen. Dafür kann sie jedoch nichts. Die Haushälterin des alten Pastors hat sie regelrecht „hineingeschubst“. Die Situation ist trotzdem ziemlich komisch. So bekommen wir gleich von Anfang an mit, wie die Dörfler drauf sind. Eigentlich sind es fast alles ganz liebe Menschen mit ihrem frechen rheinischen Mundwerk. Manchmal nerven und oft tratschen sie.

Ich hatte Mühe, dieses Buch zwischendrin mal zur Seite zu legen. Es ist alles großartig erzählt und hat mich gleich in die Geschichte hineingezogen. Ich habe mich dort sofort wohl gefühlt. Das hat die Autorin vor allem durch ihre warmherzige „Schreibe“ geschafft.

Annas Familie ist auch so eine Sache für sich, wir lernen einige Mitglieder daraus kennen. Alle außer Anna sind katholisch und sehr konservativ. Anna ist die „Rebellin“ darunter, schon dadurch, dass sie evangelisch ist.

Annas Schwester Maria ist so ziemlich das Gegenteil von Anna: Immer das liebreizende Mädchen, im Gegensatz dazu ist Anna lebhaft, fast wild. Annas Ehe ist gescheitert, während Maria in „Bilderbuch-Verhältnissen“ lebt, perfekt verheiratet mit adligem Banker-Ehemann. Die beiden haben einen Sohn, elf Jahre alt. Der soll eigentlich Geige spielen, spielt aber lieber mit Tante Anna Fußball.

Klasse beschrieben ist auch Annas Mutter Mechthild. Eine meiner Lieblingsfiguren ist jedoch die fidele zweiundneunzigjährige Großtante Ottilie, nie um einen Spruch verlegen.

Unter den Dorfbewohnern gibt es auch einige spezielle Persönlichkeiten, die man beim Lesen gleich lieb gewinnt. So zum Beispiel der Postbote „Martinchen“, der „Lange“ – von Beruf Leichenbestatter, Frau Erbs mit der Frisur aus Beton, LKA-Volker und verschiedene „Tratschen“. Die kann man gar nicht alle einzeln erwähnen. Sie wirken sehr lebensecht und geben dem Buch die besondere Würze.

Anna hat sogar einen Hund, wie ihn auch die Autorin hat – man sieht es im Buchumschlag –: einen Goldendoodle. Im Buch heißt er Freddy. Er kann Menschen aufheitern und miese Stimmungen vertreiben, schon allein dadurch, dass er so putzig ist.

Die Geschichte wird ziemlich spannend, denn vieles kommt anders als erwartet. Das Hochglanzleben von Maria, Annas Schwester, ist mehr Schein als Sein und fällt in sich zusammen. Und dann ist noch Marias Sohn Sascha verschwunden. Die Suche nach ihm wird fast zum Krimi.

Ein paar eingestreute Episoden fügen sich stimmig in die Geschichte ein und es gibt ein paar Rückblenden. Das alles passt sehr gut zusammen. Der Roman hat aber auch ein paar schockierende Elemente und Dinge zum Nachdenken. Trotzdem bleibt er angenehm zu lesen – ein Wohlfühlbuch.

Kurz und knapp:

Prima Idee – für mich mal etwas anderes.

Lebendig wirkende Figuren. Super dargestellt.

Durchweg spannend mit einer schönen Portion Humor und mit gut gewählten Rückblenden. Die hätten nach meinem Geschmack ruhig noch etwas weiter ausgeführt werden können.

Der Sprachstil ist ein Highlight.

Der „Kriminalfall“ wird aufgeklärt, so wie ich es schon vermutet hatte. Das ist absolut passend. Die Geschichte, deren Details bezaubernd sind, wird dadurch schön abgerundet.

Hat Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Leider war es viel zu schnell zu Ende.

Das ist die richtige Lektüre für alle, die etwas leicht Außergewöhnliches mit originellen Protagonisten suchen.

Meine Bewertung: 5 von 5 Sternen.

Details

Autor:Anne Gesthuysen
Titel:Wir sind schließlich wer
Genre:Literatur
Verlag:Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr:2021
Seitenanzahl:416
ISBN:9783462054088

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